Unsterblich! Seit Urzeiten ein Traum, und ich habe es geschafft. Ich bin unsterblich. Das behauptet zumindest eine der schillerndsten Persönlichkeiten des japanischen Bergsports, Saito-san, mit dem ich soeben gemeinsam den höchsten Punkt Japans, den 3.776 Meter hohen Gipfel des Fuji erklommen habe. Und er muss es ja wissen, schließlich hat er den Berg schon über 650 Mal bezwungen. So erklärt mir Saito-san auf Nachfrage, dass der Name Fuji gemäß einer Theorie (von vielen) von dem Wort für Unsterblichkeit (fushi) abstammen soll.
Aber soll ich das wirklich glauben? Ich bin mir nicht sicher und überlege, dass ein entsprechender Beweis nicht schaden könnte. Und wo lässt sich das am besten auf die Probe stellen? Natürlich bei einem 5-Gänge-Menu in einem Kugelfisch (Fugu) Restaurant. Dieser Fisch enthält ein tödliches Gift und darf daher in den meisten Präfekturen Japans nur nach zweijähriger Ausbildung und Prüfung zubereitet werden.
Es gibt allerdings auch Ausnahmen in wenigen Präfekturen erklärt mir Fugu Koch Hironobu Shimura (Restaurant Kakoh Kirin in Fuji (Shizuoka)), was pro Jahr zu ungefähr drei Todesfällen führt. Er versichert mir jedoch, dass er alle Prüfungen bestanden hat und zeigt mir sogleich auch stolz sein Prüfungsbuch.
Aber beginnen wir von vorne. Im Rahmen der Planung meiner zweiten Reise nach Japan in 2016 habe ich bei meinen japanischen Freund Jun angefragt, ob er uns einmal ein gemeinsames Fugu Essen organisieren könnte. Und das Tüpfelchen auf dem i für mich als Fotograf wäre es dann natürlich, bei der Zubereitung über die Schulter fotografieren zu dürfen. Dieser Wunsch stellte sich allerdings als gar nicht so einfach heraus. Mein Freund hast fast den kompletten Großraum Hakone abtelefonieren müssen, bis sich endlich dann Shimura-san dazu bereit erklärt hat. Die anderen Köche hatten wohl Bedenken, dass anhand meiner Bilder plötzlich jeder zum Kugelfisch-Koch werden würde 😉
In Japan angekommen lerne ich dann zum einen, dass April, Mai keine Fugu Saison ist. Und zum anderen, dass der Fisch nicht direkt nach dem Zerlegen zubereitet werden darf. Ich buche also unser Menu. Und hoffe, dass in einem Zeitfenster von wenigen Tagen auch ein frischer Kugelfisch auf dem lokalen Markt angeboten wird, dessen Zerteilung ich dann fotografisch dokumentieren darf.
Also zuerst das kulinarische Vergnügen und dann die Arbeit. Shimura-san führt uns in einen separaten Raum in seinem Restaurant und zeigt uns in einem Buch, welche Fugu Art wir heute verspeisen werden. Ich wusste gar nicht, dass es so viele verschiedene Arten gibt sowie die wenigsten davon wirklich kugelig ausschauen wie bei uns immer dargestellt wird. Gemütlich auf dem Boden sitzend wird uns nun ein Gang nach dem anderen serviert. Wir beginnen mit Sashimi, leicht aber nicht unangenehm zäh. Es folgt frittierter und anschließend filetierter Fugu. Beides angenehm aber nicht aufdringlich nach Fisch schmeckend. Als quasi Hauptgang werden die restlichen Fugu Filets in eine Suppe mit Nudeln, Tofu, Pilzen und etwas Gemüse gegeben – später erhalte ich später sogar das Rezept. Das Austeilen muss hier allerdings die japanische Freundin übernehmen. Die dafür bereit gelegten überdimensionierten Stäbchen sind für mich ein nicht bedienbares unmögliches Werkzeug.
Nach dem Dessert bekommen wir nicht nur die Rechnung serviert – umgerechnet 350 Euro für vier Personen – sondern auch die gute Nachricht, dass am folgenden Tag eine frische Lieferung Fugu zu erwarten ist. Perfektes Timing!
Pünktlich um 09:00 Uhr am nächsten Morgen stehe ich also wieder vor dem Restaurant. Freudestrahlend werde ich empfangen und bekomme sogleich stolz den noch lebenden Fugu präsentiert. Sogar zwei unterschiedliche Arten. Der nun folgende Teil ist dann nicht unbedingt etwas für zarte Gemüter. Aber mit dem Auge des Fotografen kann ich dem Geschehen sachlich interessiert gut folgen. Zappelnden Fisch auf das große Holzbrett gelegt, und dann geht es verblüffend schnell. Zack Zack ein paar schnelle Bewegungen mit dem scharfen Messer und schon liegt der erste Kugelfisch komplett enthäutet und zerlegt vor uns. In einer Schale die giftigen Innereien, in einer anderen Schale die genießbaren Filetstücke. Unterstützt durch ein Wörterbuch lerne ich nun mehr über die bereits erwähnte Ausbildung und Prüfung sowie die giftigen Teile. Nach wenigen weiteren unspektakulären Minuten liegen auch die nächsten drei Kugelfische komplett zerlegt vor uns. Insgesamt ungefähr sechs Mahlzeiten. Sehr interessant. Allerdings muss ich gestehen, dass ich mir das Ganze viel spannender und aufregender vorgestellt habe. Mehr wie ein extrem vorsichtiges ablösen und mit voller Konzentration entlang schneiden an den tödlichem Teilen. Aber nichts davon, und eigentlich viel zu schnell stehen wir nach getaner Arbeit wieder vor dem Restaurant.
Ein gemeinsames Abschiedsfoto – stolz wird Hironobu Shimura später von dem Besuch des Deutschen Fotografen in den sozialen Medien berichten – und weiter geht es für mich in Richtung Tokyo. Glücklich und zufrieden aufgrund des sehr spannenden und seltenen Einblicks in diese japanische Küche. Aber natürlich auch weil nun meine Unsterblichkeit ja tatsächlich bewiesen ist.
Ansonsten ist der Kugelfisch geschmacklich allerdings auch nur ein Fisch. Besondere Würze verleiht ihm jedoch das Spiel mit dem Risiko.