Gefährlicher Abstieg über Gletscherspalten

Etwas wehmütig, aber nichtsdestotrotz gut gelaunt angesichts des fantastischen Erlebten, packen wir bei bestem sonnigen Antarktis Wetter unsere Zelte zusammen.

Das Basislager, unsere Basler, ist als winziger Punkt in der weißen Ferne gerade so zu erkennen. Vor dem anstehenden Abstieg dorthin müssen wir allerdings noch eine Frage klären. Wir überlegen, wie wir am besten unsere schwer bepackten Schlitten transportieren, ohne dass sie uns auf dem teilweise spiegelglatten Untergrund permanent in die Füße oder zur Seite rutschen werden.

Nach einigem Hin und Her und Für und Wider entscheiden wir uns für die folgende Variante: Die ersten drei Schlitten beladen wir mit dem schwerem Gepäck, den letzten so leicht wie möglich. Alle Schlitten fixieren wir mit dem Seil, in welches wir selber eingebunden sind. Am letzten Schlitten von Dan montieren wir zusätzlich ein Bremsseil. Unsere Aufgabe wird es sein, möglichst gleichmäßig zu gehen und dabei darauf zu achten, unser Seil auf Spannung zu halten. Nicht zu viel, um den Vordermann nicht zu bremsen. Aber auch nicht zu wenig, um zu vermeiden, dass sich ihm die Schlitten in die Kniekehlen schieben.

Hochkonzentriert steigen wir also ab. Trotzdem riskiere ich ab und an einen Blick in die unendliche Weite. Ein Gefühl von tiefer Ruhe steigt in mir auf. Mit jeder Faser meines Körpers sauge ich ein letztes Mal die für mich perfekte Einsamkeit in mir auf. Ich spüre jeden noch so kleinen Eiskristall auf meiner Haut, lausche dem sonor krachenden Blaueis unter meinen Füßen, atme eine tiefe Prise reinster Luft ein und kann mich nicht sattsehen an dem in der klaren Sicht reinen Weiß.

Trotzdem bleibe ich auch immer fokussiert auf das Seil. Wegen der Schlitten, aber auch wegen der sich in diesem Gebiet befindlichen Gletscherspalten!

Und dann passiert es. Ohne jede Vorwarnung stürzt mein Vordermann Michel wie durch eine sich spontan öffnende Falltür bis zur Hüfte in eine solche Spalte hinein. Zack und weg! Der Schreck fährt mir durch alle Glieder, und ich bleibe sofort stehen. Ich möchte ihm helfen, muss aber natürlich das Seil auf Spannung halten. Ein Gefühl von Ohnmacht überkommt mich. Aber zum Glück auch schnell ein Gefühl von Erleichterung, als er sich mit Hilfe seiner Steigeisen selbst befreien kann. Doch nun muss ich an dieser Stelle vorbei. Ich bleibe kurz stehen und schaue in die locker mehr als 15m tiefe Spalte. Hole kurz Luft und mache dann einen so großen Schritt wie möglich. Puh, geschafft!

Als auch Dan sicher über die Spalte gelangt ist, bleiben wir stehen und stellen fest, dass wir inmitten eines großen Spaltenfeldes gelandet sind. Wir sind verkehrterweise leicht unterhalb der recht sicheren Aufstiegsroute unterwegs. Hier zeigt sich nun der große Vorteil, mit einem sehr erfahrenen Polarguide unterwegs zu sein. Wie ein Löwe auf der Jagd, alle Sensoren eingeschaltet, 100%ig auf den Berg konzentriert geht er Meter um Meter voran. Und bleibt immer wieder stehen, fast so als nehme er Witterung auf. Wir erkennen keinen Unterschied. Doch Christoph nimmt seinen Eispickel, stößt ihn in den Boden und hat die nächste Spalte gefunden. So führt er uns in wenigen Minuten souverän aus diesem Spaltenlabyrinth heraus.

Wir atmen einmal, wohl eher zwei bis drei Mal, tief durch und setzen dann unseren Abstieg auf deutlich sichererem Gelände fort. Jetzt endlich kann ich wieder die Blicke in die Weite und auch ab und an ein Foto aus der Hüfte riskieren.

Mit jedem Schritt wird jetzt das Flugzeug, aber auch die Wehmut größer. Wir lassen uns Zeit, gehen bewusst langsam und bleiben bewusst Minuten stehen, um die Stille zu genießen.

Die letzten Meter wird es dann mit immer wieder einbrechendem Neuschnee noch einmal anstrengend, so dass wir dann doch froh sind, als wir die Basler erreichen. Und noch einmal doppelt so froh, als wir dort eine Schale heißen Nudelauflaufs und ein, in diesem natürlich Kühlschrank gekühltes, eiskaltes Bier serviert bekommen.

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